Algen – nachhaltiges Nahrungsmittel der Zukunft
Für sie müssen keine Regenwälder sterben, sie wachsen erheblich schneller als Landpflanzen und können ohne Einsatz von Antibiotika, Düngern und Pestiziden kultiviert werden. Sind Algen eine Alternative, wenn es darum geht, eine stetig wachsende Weltbevölkerung in Zeiten des Klimawandels nachhaltig mit Protein zu ernähren? Die Alge als Nahrungsmittel der Zukunft? Experten meinen, ja.
Makroalgen – ein Lebensmittel mit langer Tradition
Algen gibt es seit mindestens drei Milliarden Jahren. Ihre Fähigkeit, aus CO2 Sauerstoff zu machen, trägt dazu bei, dass die Erde für uns überhaupt bewohnbar ist. Makroalgen sind ein traditionelles Nahrungsmittel aus dem Meer. Immer in großen Mengen verfügbar, aber nicht rund um den Globus gleichermaßen geschätzt. In Asien stehen großblättrige Algen oder Seetang als hochwertige Delikatesse schon seit Tausenden von Jahren auf dem Speiseplan. Im alten Japan waren die heutigen Sushi-Algen als Lebensmittel nur für den Adel zugänglich. Bestimmte Rotalgenarten überreichte man in China dem Kaiser als erlesenes Geschenk.
Auch in nordeuropäischen Ländern wie Irland, Schottland oder Island hat der Verzehr großblättriger Algen eine lange Geschichte. Dort allerdings mehr als alltägliches Lebensmittel für die Bevölkerung oder sogar als Armenspeise.
Erst mit der steigenden Popularität japanischer Sushi-Restaurants eroberten Makroalgen als Bestandteil der Ernährung weite Teile der westlichen Welt. Ab etwa der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts avancierten die mit ihnen umhüllten „Röllchen“ und die dazu gereichte Miso-Suppe zur trendigen Delikatesse.
Mikroalgen als Novel Food
Mikroalgen wie Chlorella oder Spirulina haben keine vergleichbare Historie als Nahrungsmittel, sondern wurden im Lauf der Menschheit nur von wenigen Kulturen angebaut und gegessen. Seit einigen Jahren stehen sie nun schon als „Superfood“ oder Nahrungsergänzungsmittel im Fokus des Interesses. Sie werden dem Verbraucher zumeist in Form von Pulver, Flocken, Tabletten oder Kapseln angeboten. Eine steigende Anzahl neuer Unternehmen im Lebensmittelbereich nutzt den gegenwärtigen Trend zu mehr Gesundheitsbewusstsein. Sie verwenden diese aus Mikroalgenzucht gewonnenen Substanzen beispielsweise zur Anreicherung von Getränken, Energieriegeln oder Nudeln mit extra Nährstoffen.
Als Farbstoff oder pflanzliches Gelier- und Verdickungsmittel haben Algen überdies längst den Einzug in fast jeden Haushalt gefunden. Meist unbemerkt. Wer weiß schon, dass die grüne oder blaue Farbe von Schokolinsen oder Gummibärchen mittlerweile auf „Spirulina-Blau“ zurückgeht? Oder dass Agar-Agar und Carrageen aus Makroalgen für die Konsistenz bei Puddings und Mayonnaisen sorgen?
Algen-Algebra: Fakten und Zahlen
- Sie gehören zu den ältesten Lebewesen der Erde: Blaualgen existierten schon, als es noch keinen Sauerstoff gab.
- Algen kommen auch an Land vor: als Boden-, Luft- und Schneealgen. Diese spielen als Nahrungsmittel jedoch keine Rolle.
- Speisealgen leben im Wasser und betreiben Photosynthese, weswegen sie gemeinhin zu den Pflanzen gerechnet werden.
- Derzeit sind rund 80.000 verschiedene Arten von Algen bekannt.
- Als Nahrungsmittel genutzt werden ca. 100 Algen-Arten.
- Es gibt Süßwasser- und Salzwasseralgen.
- Etwa 80 Prozent der Wasseralgen sind winzig kleine Mikroalgen, manche davon nur Einzeller. Sie können beides: Süßwasser und Salzwasser.
- Ungefähr 20 Prozent der Algen sind Makroalgen, die meisten davon leben im Meer. Als Speisealgen geerntet werden ausschließlich die Makroalgen aus dem Salzwasser.
- Die kleinste Alge ist die im Süßwasser vorkommende, einzellige Chlorella mit einem Durchmesser von 2 – 10 Tausendstel Millimeter.
- Die größten Algen sind die am Meeresboden festgewachsenen Tange. Sie können eine Länge von über 50 Metern erreichen.
Algen als Nahrungsmittel – was sie so gesund macht
In punkto Proteingehalt sind Mikroalgen wie Spirulina und Chlorella unschlagbar: Sie bestehen auf 100 Gramm gerechnet zu über 50% aus reinem Protein. Dieses enthält zudem alle essentiellen Aminosäuren.
Jedoch liefern Algen nicht nur Eiweiß, sondern einen gesunden Mix an Fetten, Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen. Sie enthalten beispielsweise gesättigte Fettsäuren, darunter die wichtige Omega-3-Fettsäure. Darüber hinaus Beta-Carotin, B-Vitamine und Vitamin A, C, E. Zudem etwa 5% Mineralstoffe, vor allem Jod (nur Meeresalgen!), aber auch Zink, Eisen, Selen, Kalium und Calcium.
Wie es um die Bioverfügbarkeit des in Mikroalgen-Produkten reichlich enthaltenen Vitamin B12 steht, wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Eine abschließende, belastbare Studie über die Wirksamkeit gibt es aktuell jedoch noch nicht. Dazu muss man wissen, dass der Mensch Vitamin B12 in ausreichender Menge auf natürliche Weise nur über den Verzehr tierischer Lebensmittel aufnehmen kann. In einem Beitrag der Verbraucherzentrale über Nahrungsergänzung bei veganer Ernährung heißt es dazu, Vitamin B12 aus pflanzlichen Quellen wie Sauerkraut, Algen oder Sanddorn sei nicht vitaminwirksam. Demnach seien B12-Präparate für Veganer:innen unverzichtbar
Grundsätzlich gilt: Wie gesund Algen oder Algenprodukte für den Menschen sind, hängt nicht zuletzt von Wasserqualität und Produktionsbedingungen ab.
Große Algen, kleine Algen – essbar sind sie alle
Makroalgen sind Alleskönner in der Küche – ob als Tee, Suppe, Salat oder Snack, als Gewürz, Umhüllung von Sushi, gedämpft, gekocht oder gebraten… Es gibt unzählige Zubereitungsweisen für große Speisealgen! Und auch in der TCM (Traditionelle Chinesischen Medizin) haben sie ihren festen Platz.
Makroalgen: Nori, Wakame und Co.
Die klassischen Speisealgen sind Makroalgen, die vor allem aus der japanischen Küche bekannt sind. Da sie als Lebensmittel im Meer kultiviert werden, enthalten die großblättrigen grünen, braunen oder roten Makroalgen unterschiedlich viel Jod. Für Mitteleuropäer, die eher an Jod-Unterversorgung leiden, also prinzipiell eine gute Nachricht. Verbraucherorganisationen weisen jedoch darauf hin, dass man beim Kauf auf Bio-Qualität und auf die Art der Züchtung achten sollte. Damit verhindere man, dass das vermeintlich gesunde Meeresgemüse nicht zu viel Jod oder gar noch Schwermetalle enthalte.
„Nori“ ist die wohl bekannteste Rotalgenart, da sie als Umhüllung für Sushi-Rollen dient. Die Braunalge „Wakame“ gehört in jede Miso-Suppe oder wird in feine Streifen geschnitten häufig als würziger, leuchtend-grüner Algensalat gereicht.
Mikroalgen: Spirulina und Chlorella
Unter den Mikroalgenarten ist die früher als „Blaualge“ bezeichnete winzig kleine Spirulina seit einigen Jahren vor allem als Nahrungsergänzungsmittel populär. Eigentlich gehört sie zu den Cyanobakterien, wird aber traditionell weiter zu den Algen gerechnet. Sie kommt sowohl mit Süßwasser als auch im Milieu stark alkalischer Salzseen zurecht.
Die einzellige Chlorella-Alge enthält, wie der Name schon vermuten lässt, am meisten Chlorophyll aller Pflanzen. Diese Süßwasseralge kommt – ähnlich wie Spirulina – getrocknet und pulverisiert zum Einsatz bei der Herstellung von Lebensmitteln, Nahrungsergänzung und Kosmetika.
In der Küche kann man sie bislang hauptsächlich als Zusatz verwenden, etwa um Gerichte mit hübscher Farbe oder einem extra gesunden Twist aufzupeppen.
Makroalgen für die Küche und als Basis für veganen Fisch
Frische oder getrocknete Makroalgen zum Kochen kann man im spezialisierten (Online-)Handel erwerben. Einige davon haben wir bereits für euch getestet. Was man z.B. mit Meeresspaghetti, Umibudo oder Dulse zubereiten kann, verrät euch unser Artikel Einfach kochen mit Algen.
Immer häufiger finden wir mittlerweile auch Convenience Produkte wie Algensalat, Aufstriche oder auch Algenwurst. Deren Gehalt an Algen variiert stark; unsere Recherchen haben Werte von rund drei bis dreißig Prozent ergeben. Nicht unbedingt viel, aber der Anfang ist gemacht. Verbraucher dürfen künftig wohl mit breiteren Produktpaletten von Algen als küchen- oder verzehrfertigem, gesundem Convenience Food rechnen.
Bei der Herstellung von veganen Fischersatz-Produkten spielen Makroalgen mittlerweile eine immer größere Rolle. Etliche Produkte enthalten bereits Algen, meist noch in geringerem Anteil. Authentischer Geschmack, der Gehalt an Omega-3-Fettsäuren und Jod, gute Verfügbarkeit in europäischen Gewässern sind einige der Pluspunkte, die für deren Verwendung sprechen.
Chlorella und Spirulina als Nahrungsmittel der Zukunft?
Ein Lebensmittel zum Sattwerden auf Basis von Mikroalgen wie Chlorella oder Spirulina gibt es aktuell noch nicht. Doch es scheint, dass deren industrielle Kultivierung weniger aufwändig ist als die ihrer „großen Schwestern“. Was dürfen wir also hier für die Zukunft erwarten?
Lassen wir hierzu zwei Fachleute zu Wort kommen.
Dipl.-Biologe Jörg Ullmann ist Geschäftsführer der Roquette Klötze GmbH und Co. KG, die seit über 20 Jahren Chlorella Mikroalgen anbaut.
Die Zukunft der Mikroalgen als Lebensmittel der Zukunft hängt seiner Einschätzung nach viel von neuen Technologien und Forschungsprojekten ab. Hier sei der noch junge Markt in Bewegung und technisch sei man auf einem guten Weg:
Der Mikroalgenanbau weltweit ist ja noch nicht viel älter als 70 Jahre, man befindet sich in einem noch recht jungen Stadium. Da solche Innovationen am Anfang immer teuer sind, landen Sie hier erst einmal im Hochpreissegment. Man sieht aber schon eine gewisse Evolution im Markt: Neue Anbaumethoden, Technologien und Produktinnovationen sind bereits günstiger und gehen in Richtung Massenmarkt. Zum Beispiel Spirulina-Blau (natürlicher Farbstoff) oder Omega 3-Fettsäuren aus Algen im Fischfutter. Der nächste Schritt wäre vielleicht wirklich „Algen als alternative Proteinquelle“, ähnlich wie Soja oder Erbse. Dazu braucht es aber zum Beispiel entweder technologische Entwicklung und/ oder ein Bioraffinerie-Konzept zur Mehrfachnutzung von Biomasse.
Dipl.-Biologe Jörg Ullmann, Geschäftsführer Roquette Klötze
Dr. Ulrike Schmid-Staiger ist Gruppenleiterin der Algenbiotechnologie am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart. Seit 25 Jahren beschäftigt sie sich mit der Kultivierung von Mikroalgen und setzt dabei auf Nachhaltigkeit. „Im Vergleich zu Landpflanzen haben unsere Algen einen um den Faktor 10 höheren Gehalt an ernährungsphysiologisch wertvollen Inhaltsstoffen“, so Dr. Schmid-Staiger. Zudem können man die im Institut gezüchtete Algenmasse „vollständig nutzen“, es gebe kaum Reststoffe. Als weitere Vorteile der Mikroalgen nennt die Wissenschaftlerin die enorme Schnelligkeit bei der Produktion der Algen. So könne man auf einem Hektar Ackerfläche jährlich etwa 30 Tonnen Biomais produzieren. In ihren Photobioreaktoren erwirtschafte man mit künstlicher Beleuchtung auf der gleichen Fläche und in derselben Zeit bis zu 150 Tonnen Algen.
Weitere Ernährungs-Alternativen aus dem Wasser
Algen als Nahrungsmittel erscheinen auch in unseren Breiten längst nicht mehr exotisch. In Asien sind jedoch nicht nur Makroalgen, sondern auch Seegurken und Quallen traditionelle Bestandteile der Küche.
Quallensalat wird in China meist bei jedem größeren Menu als eine der kalten Vorspeisen gereicht. Ohne zu wissen, dass es Qualle ist, würde man nicht erraten können, woraus die gelblichen, festen Streifen bestehen. Wohingegen die Seegurke auf dem Teller bei westlichen Besuchern meist ein spontanes Gruseln hervorruft. Dabei fällt diese eher in die Kategorie Luxus-Delikatesse bei besonderen Banketts und gehört nicht zur Standard-Menufolge.
Taucher werden gern bestätigen, dass die Tafel unter Wasser potentiell nicht nur mit Algen, sondern auch mit Seegurken und Quallen reichlich gedeckt ist. Was, wenn man dieses Potential als Ernährungsquelle der Zukunft nutzen könnte?
Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen geht man solchen Fragen konkret nach. Dort forscht Dr. Holger Kühnhold in einem von „food4future – Nahrung der Zukunft“ mit öffentlichen Mitteln unterstützen Projekt an Quallen. Im Fokus steht hier die schnelle und effiziente Produktion von Quallen mit möglichst hohem Proteingehalt. Besonders interessant: Arten, die mit Hilfe von Sonnenlicht tierisches Protein herstellen können.
Ausgewählte Algen-Anbieter
Spirulina und Chlorella aus Deutschland und Österreich werden in Algenfarmen mit eigenen Starterkulturen in Gewächshäusern, Glasröhrensystemen oder Folienschläuchen angebaut. Nach dem Wachstum werden die Mikroalgen geerntet, vor Ort getrocknet und vermahlen. Man erhält Pulver, Tabletten, aber auch Snacks oder Müsli z.B. direkt von folgenden Anbietern, die auch selbst produzieren:
Makroalgen stammen aus Aquakulturen oder Wildzucht. Die Jungpflanzen werden an Land in Laboren an Schnüren vorkultiviert und später an Seile gesetzt, die im Meer versenkt werden. Danach benötigen diese Kulturen weder Frischwasser, noch Energie, die Algen wachsen von selbst und können nach etwa fünf Monaten geerntet werden. Die Ernte erfolgt nach Angaben der Hersteller von Hand. Dabei werde besonders darauf geachtet , die Alge nicht komplett abzuernten, so dass sie wieder nachwachsen kann. Beim Kauf von Makrolagen oder daraus hergestellten Produkten sollte man auf biologischen Anbau und auf den Nachweis europäischer Anbaugebiete mit bester Wasserqualität achten.
- Algenladen aus Attenweiler
- Nordic Oceanfruit mit Sitz in Berlin
- Viva Maris aus Schenefeld
- Meeresgarten aus Kiel
Grünes Licht für Algen & Co. als Zukunftsessen?
Algen, Seegurken oder Quallenzucht mit Solar- oder LED-Technik in ressourcenschonenden Anlagen an Land, um als Nahrungsmittel der Zukunft eine lokale und nachhaltige Versorgung mit Protein für die steigende Weltbevölkerung zu gewährleisten?
Eine Vision, die eine solche bleiben wird?
Nicht unbedingt.
Was müsste passieren, um eine solche Vision Realität werden zu lassen, sobald die technologische Seite geklärt ist?
Neue Produkte müssten entstehen, die von Optik, Textur und Geschmack her passen. Ein Umdenken in punkto Ernährung findet bei Verbraucher:innen bereits statt. Überdies die Bereitschaft, neue alternative Produkte auszuprobieren. Die Akzeptanz beim Verbraucher ließe sich zudem durch bessere Information sowie Betonung des Gesundheits- und Genussaspektes erhöhen. Vom anfangs sicher hochpreisigen Sektor eines Nischenmarktes – wie derzeit auch immer noch bei pflanzlichem Ersatz für Milch oder Fleisch – müssten peu à peu erschwinglichere Produkte den Massenmarkt durchdringen. Was sicher noch eine Weile dauert.
Und letztlich ist alles nicht nur eine Frage von Tradition und Gewöhnung, sondern auch des richtigen Marketings. Wer hätte etwa vor zwanzig Jahren auf die Popularität von Chia gesetzt?!
Bildnachweis Titelbild: Nordic Oceanfruit