Lancet-Diät: So will sie die Welt retten

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Die Art und Weise, wie wir aktuell essen und Lebensmittel erzeugen, ist zerstörerisch für die Umwelt. Teilweise beeinträchtigen wir damit auch unsere Gesundheit. Die momentane Ernährungsweise bedroht das langfristige Überleben des Menschen. Das schreibt eine internationale Kommission von 37 Wissenschaftlern in dem umfangreichen Bericht zur Lancet-Diät.

Wir haben heute sehr viele miteinander verknüpfte ernährungsbezogene Krisen wie Klimawandel, Umweltverschmutzung und Lebensmittelverschwendung. Zudem herrscht sowohl Unterernährung als auch Fettleibigkeit auf der Welt. In Zukunft wird es unmöglich sein, die rund 10 Milliarden Menschen zu ernähren, die bis 2050 auf der Erde leben werden. Es sei denn, wir nehmen dramatische Änderungen an unserer Ernährung und unserer landwirtschaftlichen Erzeugzung vor – so argumentieren die Forscher.

Neue Philosophie der Ernährung erforderlich

Was benötigt wird, so der Bericht mit dem Titel „Food in the Anthropocene: The EAT-Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems“, also die EAT-Lancet-Kommission über gesunde Ernährung aus nachhaltigen Lebensmittelsystemen, ist eine neue Philosophie für die Ernährung auf dem Planeten Erde. Obwohl es weltweit große Unterschiede gibt, was und wie viel wir konsumieren, stecken wir alle gemeinsam in einer existenziellen Krise.

Das bringt uns zu dem wohl umstrittensten Aspekt dieses Berichts: die spezifischen Ernährungsempfehlungen, die sicherstellen sollen, dass die Ernährungsbedürfnisse aller Menschen erfüllt werden, ohne die „planetarischen Grenzen“ zu überschreiten. Damit wir als Spezies überleben, soll jeder hauptsächlich Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchte und Nüsse essen und den Konsum von rotem Fleisch auf eine Portion pro Woche beschränken.

Gesundheitsdiät für den Planeten und jeden einzelnen


Diese „planetarische Gesundheitsdiät“, wie die Autoren sie nennen, könnte für viele Menschen auf der Nordhalbkugel dieser Erde eine provokante Empfehlung sein. Der Grund: dort essen viele Menschen mehrere Portionen Fleisch pro Tag. Die Diät würde eine radikale Umgestaltung unserer Esskultur erfordern – mit der Priorität von Nachhaltigkeit und kollektivem Überleben gegenüber der Freiheit alles zu Essen, was mensch will was und der angelernten Essenstradition entspricht.

Daher ist es kaum verwunderlich, dass es einige Reaktionen auf den Bericht gab, und zwar nicht nur von Akteuren der Fleischindustrie, die sich durch die Zunahme von Teilzeitvegetarismus, Vegetarismus und Veganismus zunehmend bedroht zu fühlen scheinen. Einige Forscher und Ärzte haben sich auch über einige Details in den Ernährungsempfehlungen aufgeregt, und darüber, ob wir wirklich wissen, wie eine gesunde Ernährung für alle Menschen aussieht.

Was die EAT-Lancet-Kommission konrekt vorschlägt

Nach dreijähriger Überprüfung der, wie sie sagen, „besten verfügbaren Beweise für gesunde Ernährung und nachhaltige Nahrungsmittelproduktion“, kamen die Lancet-Autoren zu einer Reihe von Zielen für die Umstellung der Ernährung auf eine durchschnittliche Aufnahme von 2.500 Kalorien pro Tag. Finanziert wurde die Initiative durch den Wellcome Trust in Großbritannien und die EAT Foundation, die private Stiftung der norwegischen Milliardäre Gunhild und Petter Stordalen.

Dieses Ziel der Kalorienaufnahme ist ehrgeizig, denn bezogen auf das durchschnittliche globale Konsumverhalten müsste jeder nur noch halb so viel rotes Fleisch und Zucker und doppelt so viele Nüsse, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte essen.

Pro Person bedeutet das etwa weniger als 14 Gramm (halbe Unze) rotes Fleisch pro Tag oder eine Portion rotes Fleisch – das wäre ein Hamburger mit einem 100g Patty – pro Woche. Die Ziele für andere tierische Produkte sind ähnlich streng und empfehlen weniger als 28 Gramm weißes Fleisch (z. B. Huhn), eine 28 Gramm Fisch, ein Viertel eines Eies und 255 Gramm Milch pro Tag – also etwa ein Glas Milch.

Starke Belege für gesundheitliche Vorteile von pflanzenbasierter Ernährung

Laut Walter Willett, Professor für Ernährung und Epidemiologie an der Harvard University und Hauptautor des Berichts, gibt es starke Belege für die gesundheitlichen Vorteile einer pflanzlichen Ernährung. Darunter die Forschungsarbeiten Predimed und die Lyon Diet Heart Study, zwei randomisierte kontrollierte Studien (die als „Goldstandard“ für Beweise in der Gesundheitsforschung gelten) zur Mittelmeerdiät, die Vorteile für das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder die Gesamtsterblichkeit zeigten. Die mediterrane Diät, bei der viel Olivenöl, Fisch, Nüsse und frisches Obst und Gemüse auf dem Speiseplan stehen, sei ein gutes Beispiel dafür, dass sie gut zu den Ernährungszielen des Berichts passe, fügte er hinzu. Aber auch auf die Predimed-Studie gab es bereits Kritik.

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Francesco Branca, Leiter der Ernährungsabteilung der Weltgesundheitsorganisation und Mitautor des Lancet, sagt, dass der Bericht auch weitgehend mit den Empfehlungen der WHO zu Fetten und Kohlenhydraten übereinstimmt. Er zitiert eine kürzlich im Lancet veröffentlichte systematische Überprüfung von prospektiven Studien und klinischen Versuchen, die zu dem Ergebnis kommt, dass eine erhöhte Aufnahme von Ballaststoffen und der Ersatz von raffinierten Körnern durch Vollkorngetreide der menschlichen Gesundheit zugute kommen dürfte.

Diät hilft Treibhausgase und Umweltverschmutzung zu reduzieren

Aber bei der planetarischen Gesundheitsdiät geht es nicht nur um die menschliche Gesundheit. Wie Marco Springmann, Wissenschaftler an der Universität Oxford und Mitglied der Kommission, in einem kürzlich erschienenen Nature-Artikel gezeigt hat, erzeugen tierische Produkte den Großteil der lebensmittelbedingten Treibhausgasemissionen – etwa 72 bis 78 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Emissionen. Selbst die größten Viehzuchtunternehmen der Welt geben durch Bemühungen wie den Global Roundtable for Sustainable Beef zu, dass sie mehr für die Reduktion von Treibhausgasemissionen tun müssen. Und sie sind sich auch bewusst, dass sie die Umweltverschmutzung durch die Milliarden von Tieren, die sie aufziehen, reduzieren.

Ein Großteil der Nachfrage nach tierischen Produkten kommt aus wohlhabenderen Ländern wie den USA – wo jeder Mensch im Jahr 2018 im Durchschnitt 222 Pfund rotes Fleisch und Geflügel aß. Wie der Lancet-Bericht argumentiert, essen wir aus ökologischer Sicht weit mehr als unseren fairen Anteil.

Der Bericht räumt ein, dass die Tierhaltung in manchen Kontexten vorteilhaft für Ökosysteme sein kann. Aber pflanzliche Lebensmittel verursachten in jeder Hinsicht weniger negative Umweltauswirkungen als tierische Produkte. „Wir schätzten, dass Veränderungen in der Lebensmittelproduktion die landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen im Jahr 2050 um 10 Prozent reduzieren könnten, während ein erhöhter Konsum von pflanzlichen Lebensmitteln die Emissionen um 80 Prozent reduzieren könnte“, heißt es. Wir könnten also dazu beitragen, das Klima- und Verschmutzungs-Chaos zu begrenzen, indem wir Fleisch und Milchprodukte zurückfahren und Getreide, Hülsenfrüchte und Nüsse aufstocken.

Warum sich einige Forscher und Ärzte wehren

Laut dem Metaforscher aus Stanford John Ioannidis konnte die Ernährungswissenschaft noch nicht beweisen, ob es einen einzigen Satz von Ernährungsrichtlinien gibt, die so spezifisch sind wie die im Lancet-Bericht, die alle Menschen befolgen sollten.

Das Problem, sagt Ioannidis, sei, dass die Ernährungsstudien, die von den Forschern zur Untermauerung dieser „gesunden“ Diät vorgelegt werden, Beobachtungsstudien sind. Das bedeutet, dass sie uns nicht wirklich sagen können, ob eine Sache etwas anderes direkt beeinflusst – lediglich, dass zwei Dinge irgendwie miteinander verbunden sind.

Auch andere Akteuere sind mit den Ernährungsempfehlungen des Berichts nicht einverstanden – darunter Ärzte und Diätassistenten, die für eine kohlenhydratarme Ernährung plädieren – gerade vor dem Hintergrund, dass Zucker und raffinierten Kohlenhydraten in Massen zur Verfügung stehen.

Gummi Bears Haribo Sweet Delicious  - BiggiBe / Pixabay
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In einem Beitrag für Psychology Today schreibt Georgia Ede, Psychiaterin und Ernährungsberaterin, dass „tierische Lebensmittel für eine optimale menschliche Gesundheit unerlässlich sind“ und beschreibt die verschiedenen Wege, auf denen die Autoren der EAT-Lancet-Kommission ihrer Meinung nach versäumen, ausreichende wissenschaftliche Beweise für den Nährwert einer pflanzenbasierten Ernährung zu liefern. Für diejenigen unter uns mit Insulinresistenz (auch bekannt als „Prädiabetes“), deren Insulinspiegel zu hoch ist, ist die kohlenhydratreiche Ernährung der Kommission – basierend auf bis zu 60 Prozent der Kalorien aus Vollkornprodukten, zusätzlich zu Obst und stärkehaltigem Gemüse – potenziell gefährlich“, so Ede.

Wo bleiben Menschen ohne ausreichend Zugang zu Lebensmitteln?

Der Fleischkonsum unterscheidet sich von Land zu Land stark. Zudem existieren viele der eine Milliarde Menschen auf der Welt, die unterernährt sind. Sie bräuchten mehr tierische Produkte in ihrer Ernährung anstatt weniger. „An manchen Orten, wie im ländlichen Afrika südlich der Sahara und im ländlichen Südasien, bekommen die Menschen nicht genug tierische Produkte, um ihren kognitiven Wachstumsbedarf zu decken“, so Jessica Fanzo, eine Professorin an der Johns Hopkins University und Mitautorin des Lancet-Berichts. So wird zum Beispiel die Unterernährung von Kindern manchmal mit einem geringen Verzehr von tierischen Produkten und anderen proteinreichen Lebensmitteln in Verbindung gebracht.

Letztendlich sollten die Ernährungsempfehlungen, die der Bericht anbietet, flexibel und auf verschiedene Kulturen und die Verfügbarkeit von Lebensmitteln zugeschnitten sein. Aber es gibt eine klare Botschaft für wohlhabendere Länder, in denen der Fleischkonsum hoch ist: Wir müssen stark herunterfahren – bis zu 90 Prozent.

„In den USA, Australien, Brasilien und einigen europäischen Ländern, wo wir insgesamt zu viele tierische Produkte konsumieren, stellt sich die Frage, ob wir auf weniger belastende Lebensmittel wie Geflügel und Hülsenfrüchte umsteigen können“, so Fanzo. „Und können wir das Gleichgewicht so verschieben, dass diejenigen, die nicht genug bekommen, mehr tierische Produkte bekommen, um mehr Gleichgewicht zu schaffen?“

Was den Weg dorthin angeht, geben die Autoren des Berichts zu: „Die Menschheit hat noch nie versucht, das Nahrungsmittelsystem so radikal und in diesem Ausmaß und Tempo zu verändern.“ Aber sie merken an, dass mehrere Länder – darunter China, Brasilien, Vietnam und Finnland – ihr Ernährungssystem in den letzten Jahrzehnten rapide verändert haben – in einigen Fällen mit einer drastischen Erhöhung des Fleischkonsums. Das könnte aber gleichzeitig Hinweise darauf geben, wie die Regierungen das Ernährungssystem wieder umkehren können.

Politik: Steuern zur Änderung des Ernährungssystems?

Aber lässt sich die Welt auf eine pflanzliche Ernährung umzustellen, indem wir uns auf Einzelpersonen verlassen? Vermutlich braucht es ein breites Spektrum von Maßnahmen – gerade auch politischen: von der Einschränkung bestimmter Lebensmittel bis hin zur Lenkung der Lebensmittelauswahl durch Anreize. Dies könnte bedeuten, dass unpopuläre Methoden wie Steuern oder sogar eine Rationierung erforderlich ist. Die Forscher fordern auch einen globalen Vertrag, um den politischen Einfluss der Lebensmittelindustrie zu begrenzen – nach dem Vorbild der WHO-Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle.

Dennoch ist jeder Einzelne gefragt, seine Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Die Lebensmittelindustrie und Startups entwickeln zunehmend Produkte, die basierend auf Pflanzen Fleischprodukte aber auch tierische Produkte imitieren.

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