Überraschende Studie: Entkoffeinierter Kaffee macht genauso wach wie Normaler
Der morgendliche Kaffee gehört für Millionen Menschen zum festen Ritual. Doch was wäre, wenn nicht das Koffein, sondern das Ritual selbst uns wach macht? Eine brandneue Studie aus Slowenien, veröffentlicht im renommierten Fachjournal Heliyon, stellt unser Verständnis von Kaffee auf den Kopf: Bei gewohnheitsmäßigen Kaffeetrinkern wirkt entkoffeinierter Kaffee fast genauso wie normaler Kaffee – zumindest was Wachheit und Leistungsfähigkeit angeht.
Die Macht der Gewohnheit: Warum unser Gehirn auf Kaffee programmiert ist
Der vertraute Duft von frisch gebrühtem Kaffee, die warme Tasse in den Händen, der erste Schluck… und schon fühlt man sich wacher. Aber liegt das wirklich am Koffein? Die Forscher der Universität Novo mesto wollten es genau wissen und führten ein faszinierendes Experiment durch.
20 regelmäßige Kaffeetrinker, die täglich ein bis drei Tassen konsumierten, wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe erhielt normalen Kaffee mit einer hohen Dosis Koffein (6 mg pro kg Körpergewicht), die andere bekam entkoffeinierten Kaffee – ohne es zu wissen. Alle Teilnehmer waren überzeugt, normalen Kaffee zu trinken. Was dann passierte, überraschte selbst die Wissenschaftler.
Erstaunliche Parallelen zwischen Koffein und Placebo
Die körperlichen Reaktionen waren in beiden Gruppen identisch. Die Herzfrequenz sank um durchschnittlich 5 bis 10 Schläge pro Minute, während der Blutdruck leicht anstieg – beim systolischen genauso wie beim diastolischen Wert. Diese Veränderungen traten völlig unabhängig davon auf, ob tatsächlich Koffein im Kaffee war oder nicht.
Noch verblüffender waren die Ergebnisse beim Reaktionstest. Die Teilnehmer mussten auf akustische Signale reagieren, und beide Gruppen wurden nach dem Kaffeegenuss deutlich schneller. Die Koffein-Gruppe verbesserte ihre Reaktionszeit von 324 auf 303 Millisekunden – eine Verkürzung um 21 Millisekunden. Die Placebo-Gruppe? Die verkürzte ihre Reaktionszeit von 329 auf 307 Millisekunden – um 22 Millisekunden. Die Verbesserung war praktisch identisch!
Was im Gehirn passiert: Die feinen Unterschiede
Mittels EEG-Messungen untersuchten die Forscher die Gehirnaktivität der Teilnehmer. Hier zeigten sich tatsächlich subtile, aber aufschlussreiche Unterschiede. Bei der Koffein-Gruppe verringerte sich die Alpha-Wellen-Aktivität im Gehirn, besonders an der Elektrode FC2 im frontalen Bereich.
Alpha-Wellen werden mit Entspannung und dem „Leerlauf“ des Gehirns assoziiert. Weniger Alpha-Aktivität bedeutet, dass das Gehirn in einen Zustand erhöhter Bereitschaft wechselt – es ist „online“ und bereit für Aktivität und Aufmerksamkeit. Interessanterweise zeigte die Placebo-Gruppe diese spezifische Veränderung nicht, fühlte sich aber trotzdem genauso wach und leistungsfähig.
Die Wissenschaft dahinter: Pawlow lässt grüßen
Dr. Gorazd Drevenšek und sein Team erklären das Phänomen mit klassischer Konditionierung – ähnlich wie bei Pawlows berühmten Hunden. Unser Gehirn hat über Jahre gelernt, bestimmte Reize mit Wachheit zu verknüpfen. Der Geruch von Kaffee, der Geschmack (der auch ohne Koffein vorhanden ist), das Ritual der Zubereitung, die Wärme der Tasse, sogar die soziale Komponente der Kaffeepause – all diese Faktoren triggern eine neurologische Reaktion, die uns tatsächlich wacher macht.
Diese Konditionierung ist derart stark, dass sie physiologische Veränderungen auslöst: Das sympathische Nervensystem wird aktiviert, der Blutdruck steigt, die Herzfrequenz verändert sich. Das Faszinierende daran: Diese Reaktionen laufen automatisch ab, sobald wir glauben, Kaffee zu trinken – ganz ohne die chemische Hilfe durch Koffein. Die vollständige Studie zeigt diese komplexen Zusammenhänge im Detail.
Was bedeutet das für den täglichen Kaffeekonsum?
Die Erkenntnisse dieser Studie eröffnen völlig neue Perspektiven für unseren Umgang mit Kaffee. Wenn das Ritual fast genauso wichtig ist wie das Koffein selbst, lässt sich diese Macht bewusst nutzen.
Für alle, die ihren Koffeinkonsum reduzieren möchten, sind die Ergebnisse besonders ermutigend. Anstatt abrupt auf Kaffee zu verzichten und unter Entzugserscheinungen zu leiden, funktioniert ein schrittweises Vorgehen: Zunächst normalen und entkoffeinierten Kaffee mischen, langsam den Anteil des Decaf erhöhen, aber das gewohnte Ritual beibehalten. Das Gehirn wird weiterhin mit Wachheit reagieren – die Studie beweist es.
Menschen, die empfindlich auf Koffein reagieren, eröffnen sich ebenfalls neue Möglichkeiten. Herzrasen, Nervosität oder Magenbeschwerden nach dem Kaffeegenuss? Mit hochwertigem entkoffeiniertem Kaffee lässt sich trotzdem die aktivierende Wirkung genießen – ganz ohne die unerwünschten Nebenwirkungen.
Besonders interessant ist die Perspektive für den Abendkaffee. Viele Menschen sehnen sich abends nach einer Tasse Kaffee, verzichten aber darauf, um ihren Schlaf nicht zu gefährden. Die Studie zeigt: Ein hochwertiger entkoffeinierter Kaffee kann das gewünschte Ritual bieten und sogar einen milden Wachheitsschub geben, ohne die Nachtruhe zu stören. Wer übrigens Kaffee komplett meiden möchte, findet beim Basenfasten interessante Alternativen – dort werden Kaffee und andere säurebildende Lebensmittel bewusst vom Speiseplan gestrichen.
Die Qualität macht den Unterschied
Für den vollen Ritual-Effekt ist allerdings die Qualität entscheidend. Der entkoffeinierte Kaffee sollte geschmacklich möglichst nah am Original sein. Schonende Entkoffeinierungsverfahren wie die CO2-Methode oder das Schweizer-Wasser-Verfahren sind empfehlenswert. Diese bewahren die Aromastoffe besser als chemische Verfahren und sorgen dafür, dass das Gehirn den Kaffee als „echt“ erkennt.
Verständnis von Kaffeegenuss revidiert
Diese slowenische Studie verändert unser Verständnis von Kaffee. Sie zeigt eindrucksvoll, dass Kaffee weit mehr ist als ein Koffein-Lieferant. Es ist ein komplexes Zusammenspiel aus Biochemie, Psychologie, sozialen Ritualen und sensorischen Erfahrungen.
Die Forscher betonen allerdings die Grenzen ihrer Studie: Mit nur 20 Teilnehmern ist die Stichprobe relativ klein, und alle waren bereits regelmäßige Kaffeetrinker. Bei Menschen, die selten Kaffee trinken, könnten die Effekte anders ausfallen. Zudem enthält selbst entkoffeinierter Kaffee noch minimale Koffeinmengen von etwa 1 bis 5 Milligramm pro Tasse.
Dennoch sind die Ergebnisse bemerkenswert und eröffnen faszinierende Perspektiven. Sie bestätigen wissenschaftlich, was viele Kaffeeliebhaber intuitiv schon lange ahnen: Eine gute Tasse Kaffee ist mehr als die Summe ihrer chemischen Bestandteile. Sie ist ein Ritual, eine Pause im Alltag, ein Moment der Achtsamkeit – und genau das macht sie kraftvoll.
Die nächste Tasse Kaffee wird man vermutlich mit anderen Augen sehen. Oder besser gesagt: mit einem anderen Bewusstsein erleben. Denn eines ist jetzt klar: Das morgendliche Kaffeeritual macht tatsächlich wach – egal ob mit oder ohne Koffein. Die Macht liegt nicht nur in der Bohne, sondern im Kopf.
Quellen:
[1] Lesar, M., Sajovic, J., Novaković, D., et al. (2025). The complexity of caffeine’s effects on regular coffee consumers. Heliyon, 11(1), e41471. https://doi.org/10.1016/j.heliyon.2024.e41471