Vertical Farming: Die Landwirtschaft in die Stadt gebracht

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Lebensmittel sollen frisch sein und für viele Menschen ist mittlerweile die Herkunft aus der Region ein wichtiges Kaufargument. Warum dann nicht die Landwirtschaft in die Stadt bringen, um zum Beispiel Wege zu verkürzen? Urban Farming heißt diese Entwicklung. Allerdings fehlt oft der Platz in den Megacities von morgen – daher wandert das zu erzeugende Gemüse schon heute in die Vertikale. Ist Vertical Farming ein Lösungsansatz für die Zukunft unserer Ernährung? Die Idee ist bestechend: Stadtbewohner können in ihrem urbanen Umfeld die Versorgung mit Lebensmitteln auf eine neue Grundlage stellen. Aber das ist keine neue Entwicklung, sondern war bereits früher zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg üblich – so im Berliner Tiergarten: Dort bauten die Menschen Nutzgärten, um die Versorgung sicherzustellen – wie ein alter Filmausschnitt zeigt.

Auch heute ist Urban Farming dort besonders präsent, wo Not herrscht. Im Stadtstaat Singapur existiert kein Umland und nur zwei Prozent Fläche, die sich landwirtschaftlich nutzen lässt. Gemüse muss daher fast komplett importiert werden. „Sky Greens“, also vertikale Gewächshäuser auf Dächern der Hochhäuser, sind beliebt – liefern sie doch eine Qualität, der die Bewohner des Stadtstaats vertrauen.

Nährlösung statt Erde

Allerdings ist ein Anbau auf klassischer Erde kaum umsetzbar, denn bei einer zukünftigen Produktion in Massen, wäre das Gewicht – das auf Häusern lastet – einfach zu groß. Daher müssen Nutzpflanzen bei vertikalen Farmen ihre Nährstoffe auf andere Weise erhalten. Hydroponik heißt diese Methode. Dabei gelangt an die Pflanze nur wenig düngerreiches Wasser. Das hat viele Vorteile: So lässt sich der pH-Wert und Nährstoffgehalt, je nach Pflanzenart justieren. Außerdem spart das System sehr viel Wasser. Gerade in südlichen Ländern mit Wasserarmut bedeutet das auch Kostenersparnis.

LED-Licht statt Sonne

Dennoch sind die Systeme unter einem Glasdach immer noch von der Sonne abhängig. Aber auch diese Variable wollen findige Wissenschaftler und Unternehmen zur Konstante machen. Vorreiter sind hier die Heimgärtner von Hanfpflanzen – lange Zeit in vielen Ländern illegal, können sie zum Beispiel bereits in drei Bundesstaaten der USA legal die sonnenverwöhnten Pflanzen ziehen. Dabei helfen LED-Lampen, die im Gegensatz zu früheren Leuchten sehr energiesparend arbeiten.

Die beiden Brüder Guy und Erez Galonska aus Israel haben das Startup Infarm in Berlin gegründet, das Gemüse, Salate und Kräuter komplett in Innenräumen per LED-Beleuchtung wachsen lässt. Die vertikale Hydrokultur ist bestechend: Salat beispielsweise, der auf dem Feld 60 Tage bis zur Genussfähigkeit braucht, benötigt in ihrer Indoor-Farm nur 30 bis 35 Tage. Dafür sorgen das künstliche Licht, die Nährlösung und eine gute Belüftung.

So ließe sich beispielsweise in einer Halle neben oder auf einem Supermarkt superfrisches Gemüse produzieren, das lediglich noch ein paar Meter weiter in den Verkauf gelangt. Ihre ersten Kunden sind jedoch Restaurants, die das System zum Beispiel für Kräuter und frische Salate nutzen.

Auch verschiedene Universitäten forschen an der sogenannten „Controlled Environment Agriculture“, also der Landwirtschaft bei kontrollierter Umgebung. Sie haben unterschiedliche Ziele: Die Effizienz zu steigern, Krankheiten zu minimieren oder eben Ressourcen wie Wasser zu schonen. Bei der Vertikalen Farm des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt geht es insbesondere um die künstliche Beleuchtung. Mit dem LED-Pflanzenlicht können die Forscher aktuell täglich 13 Tonnen frisches Gemüse produzieren, das im lokalen Supermarkt verkauft wird. Allerdings rechnet sich die Farm noch nicht. Die Kosten für ein Kilogramm produzierte Lebensmittel liegen zur Zeit  bei 12 Euro. Jede konventionell erzeugte Biotomate ist da günstiger.

Dennoch ist die Richtung interessant: Bei weniger zu Verfügung stehenden Ressourcen sind solche Ansätze möglicherweise in Zukunft zu Kapital zu machen – ähnlich wie bald Elektroautos den konventionellen PKW das Garaus machen könnten.

Personal Gardening – Selbsterzeugung und Eigenversorgung

Einen Schritt weiter könnte das – nennen wir es – Personal Gardening gehen: Stadtbewohner, die in ihrer Wohnung oder aber auf ihrem Balkon mittels ausgefeilter Technologie ihr eigenes Gemüse ziehen. Das käme einer Demokratisierung der Lebensmittelproduktion gleich. Städter wären wieder Kleinbauern. Immerhin sind in den letzten Jahren zunehmend Interessengruppen entstanden, die das Urban Gardening vorantreiben. Die gemietete Scholle Land, auf der eigener Salat wächst, der zusammen mit Kartoffeln, Möhren und anderen selbst angebauten Lebensmitteln, einen Teil der Ernährung liefert – mit Herkunftsgarantie. Dabei wäre zu beachten, dass verkehrsbelastete Standorte schadstoffgefährdet sind. Forscher der TU-Berlin fanden im Rahmen einer Studie hohe Schwermetallkonzentrationen in Berliner Stadtgemüse.

Urban und Vertical Farming, aber auch die Renaissance des Gärtnerns werden in  zunehmendem Umfang unser Zukunftsessen bestimmen. Es bestehen bereits verheißungsvolle Ansätze. Der Teufel liegt jedoch im technologischen Detail. Alles was machbar ist, ist nicht immer sinnvoll und nachhaltig. So wollte zum Beispiel Mao die chinesische Stahlproduktion den großen Sprung nach vorn machen lassen, indem über das ganze Riesenreich verstreut, persönliche Stahlkocher mit begrenztem Volumen die Lücke füllen sollten. Doch dieses Experiment scheiterte und brachte nicht den erwünschten Durchbruch. Vielleicht hinkt das Beispiel, denn zur Nahrung haben Menschen ein besonderes emotionales Verhältnis.

Letztlich werden der Geschmack, die Qualität und der Preis von städtischen Lebensmitteln über ihren Erfolg entscheiden – und die Geschichte, wie sie erzeugt wurden.

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